Das Innere Kind

 

„Du hast deine Kindheit vergessen, aus den Tiefen deiner Seele wirbt sie um dich. Sie wird dich so lange leiden machen, bis du sie erhörst.“                                            Hermann Hesse (aus "Narziss und Goldmund")

 


Der Begriff „Inneres Kind“ stellt eine psychologische Betrachtungsweise und ein therapeutisches Konzept dar, das von John Bradshaw, einem amerikanischen Psychologen, bereits in den frühen 1980er Jahren beschrieben wurde.

Die Arbeit mit dem sogenannten „Inneren Kind“ nimmt einen wesentlichen Anteil in meiner therapeutischen Arbeitsweise ein.

 


Was bedeutet "Inneres Kind" ?

Für viele Klienten ist die Vorstellung, dass dieses Kind, das sie vor vielen Jahren oder Jahrzehnten gewesen waren, noch immer in ihnen quasi „wohnt“, eine zunächst befremdliche Vorstellung. Dabei tragen alle Menschen ein Inneres Kind in sich (oder auch mehrere, je nach Betrachtungsweise), ganz unabhängig davon,wie alt sie sind.

Allerdings haben die meisten Menschen keinen Kontakt zu diesem ihrem Inneren Kind. Das liegt wohl hauptsächlich daran, dass sie die Vorstellung haben, sie seinen doch längst erwachsen und ihre Kindheit gehöre in vergangene Zeiten.

 

Andererseits erahnen viele die seelischen Verletzungen und schmerzhaften Erfahrungen aus ihrer Vergangenheit und wollen es deshalb (unbewusst) vermeiden, damit wieder in Kontakt zu kommen. Das bedeutet, dass diese Vergangenheit, die wir symbolisch mit dem Begriff „Inneres Kind“ bezeichnen, abgespalten, verdrängt und aus dem Bewusstsein verbannt wurde.

Diese Verbannung stellt eine unbewusst entwickelte Strategie dar, mit diesen schmerzlichen Anteilen der eigenen frühen Lebensgeschichte zurechtzukommen.

 

Einsames Kind als Symbol für Inneres Kind

 

Das Problem dabei ist nun, dass diese Persönlichkeits-anteile durch die Abspaltung nicht wirklich verschwunden sind, sondern nur vor dem Wach-bewusstsein verborgen. Um es mit einem Bild zu beschreiben, sie sind im „Keller“ der Persönlichkeit hinter einer verschlossenen Tür eingesperrt.

Im Unterbewusstsein jedoch sind sie weiterhin aktiv,

soll heißen, sie schreien und poltern lautstark hinter der Tür, wenn eine aktuelle reale Situation es erfordert.

Ein Beispiel

Es gab bei der Person X in der Kindheit wiederholte Situationen, in denen dessen Mutter bei unerwünschtem Verhalten des Kindes damit gedroht hatte, es wegzugeben, zu verlassen und dann dem Kind tatsächlich Zuwendung versagt hatte. Dies hat bei dem Kind massive Angstgefühle erzeugt, die es jedoch der Mutter gegenüber nicht artikulieren konnte, um die Situation nicht noch zu verschärfen. Um die Ängste zu bewältigen „beschließt“ das Kind – natürlich völlig unbewusst – dass es hilfreich sei, das starke Bedürfnis nach emotionaler Bindung zur Mutter „aufzugeben“, weil dadurch die Verlustangst geringer wird oder sogar verschwindet. Somit wird ein Inneres Kind erschaffen, das mit seinen Bindungsbedürfnissen und der daraus resultierenden Verlustangst quasi im (oben genannten) verschlossenen „Keller“ der Persönlichkeit weiter existiert.

 

Als erwachsener Mensch wird Person X in Beziehungen möglicherweise große Probleme haben, sich auf enge emotionale Bindungen einzulassen. Denn in dem Moment, in dem sie mit den Bindungswünschen des Partners konfrontiert wird, melden sich sozusagen die eigenen „alten“ Bindungsbedürfnisse des Inneren Kindes lautstark aus dem Keller, die jedoch noch immer mit der extremen Verlustangst von damals gekoppelt sind. Doch diese Angst ist so bedrohlich, dass die ehemals entwickelte Strategie völlig unbewusst wieder zum Einsatz kommt.

 

Die Angst und damit auch das Bindungsbedürfnis müssen im Keller bleiben, und das geht nur, wenn eine gewisse emotionale Distanz zum Beziehungspartner erhalten bleibt.

Das bedeutet, die Person X wird in ihrem Erwachsenen-leben enge emotionale Bindungen in der Regel vermeiden und bei entsprechenden Bestrebungen des Partners in Distanz gehen.

Das wiederum verursacht bei beiden Partnern Gefühls-verwirrungen und Spannungen in der Beziehung.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, dass sich Person X - und möglicherweise auch Partner Y - um ihre unbewussten, alten Persönlichkeitsanteile - die Inneren Kinder eben - kümmern sollten.

Und genau hier kommt die therapeutische Arbeit mit dem Inneren Kind zum Einsatz.